Ärztliche Verschwiegenheitspflicht
ÄrztInnen und ihre Hilfspersonen sind gemäß § 54 Abs 1 ÄrzteG zur Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet. Daher müssen ÄrztInnen nicht nur Informationen geheim halten, die ihnen von ihren PatientInnen während der Behandlung direkt mitgeteilt werden, sondern auch alle Umstände, die sie in sonstiger Weise (zufällig) wahrnehmen. Darüber hinaus macht es keinen Unterschied, ob das Geheimnis der Ärztin bzw dem Arzt im Zuge einer Visite oder einer Behandlung in der Ordination anvertraut wird oder bei einem privaten Anlass. Trifft bspw eine Ärztin einen ihrer Patienten während eines Spaziergangs und unterhält sich mit ihm noch kurz über dessen Gesundheitszustand, so unterliegt auch dieses Gespräch der ärztlichen Verschwiegenheit.
Die Verschwiegenheitspflicht besteht gegenüber jedermann. Daher sind ÄrztInnen auch gegenüber EhepartnerInnen bzw den nächsten Angehörigen von PatientInnen oder anderen, nicht behandelnden ÄrztInnen verpflichtet.
Zu beachten ist, dass nicht nur Gesundheitsdaten des Patienten dem Berufsgeheimnis unterliegen, sondern alle persönlichen, gesellschaftlichen und psychosozialen Umstände der PatientInnen und ihrer Angehörigen (bspw familiäre, Wohn- oder Einkommensverhältnisse).
Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht
§ 54 Abs 2 ÄrzteG enthält eine Reihe von Ausnahmen von der Schweigepflicht:
Gesetzliche Meldepflicht
Zum einen kann die Meldung des Gesundheitszustandes bestimmter Personen gesetzlich vorgeschrieben sein. Solche Meldepflichten sehen bspw das Epidemiegesetz, das Geschlechtskrankheitengesetz, das AIDS-Gesetz und das Tuberkulosegesetz vor.
Aufgabenerfüllung der Sozialversicherungsträger
Zum anderen normiert § 54 Abs 2 Z 2 ÄrzteG eine Ausnahme für Mitteilungen oder Befundübermittlungen an die Sozialversicherungsträger und Krankenfürsorgeanstalten oder sonstigen Kostenträgern, sofern diese zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind.
Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht
Darüber hinaus steht es PatientInnen selbstverständlich frei, ÄrztInnen von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Das Recht auf Entbindung ist als höchstpersönliches Recht nicht übertragbar, delegierbar oder vererbbar. Es kann jedoch ein Vertreter zur Weitergabe der Entbindungserklärung bevollmächtigt werden. Die Gültigkeit einer Entbindungserklärung bedingt, dass die Patientin bzw der Patient entscheidungsfähig sind. Die Entbindungserklärung kann ausdrücklich oder schlüssig abgegeben werden. Da es sich um eine formlose Erklärung handelt, bedarf es auch nicht zwingend der Schriftlichkeit.
Zum Schutz höherwertiger Interessen unbedingt erforderlich
Unabhängig von anderen Ausnahmetatbeständen kann es auch zu einer Durchbrechung des Berufsgeheimnisses kommen, wenn dies zum Schutz höherwertiger Interessen unbedingt erforderlich ist. Als „höherwertige Interessen“ nennt § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG ua ausdrücklich solche der öffentliche Gesundheitspflege und der Rechtspflege. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine abschließende Aufzählung. Auch die Weitergabe der für die Behandlungskontinuität unerlässlichen Informationen an mit der Pflege der PatientInnen betraute Personen dient jedenfalls höheren Interessen.
Da nicht schlicht „jedes“ Interesse zu einer Durchbrechung der Schweigepflicht führt, sondern es sich um ein „höherwertiges“ Interesse handeln muss, hat immer eine Interessenabwägung stattzufinden. Bspw kann ein höherwertiges Interesse angenommen werden, wenn die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben von PatientInnen oder Dritten führen würde.
Mit diesem Tatbestand wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Arbeit von Gerichten und Behörden durch die ärztliche Verschwiegenheitspflicht nicht zu stark behindert wird. Dem möglichen Bedarf an einer Auskunftserteilung über gesundheitsbezogene Tatsachen durch Ärzte soll „im Rahmen amtswegiger Verfahren im Bereich des Straf- und Zivilrechtes – etwa im Abstammungs-, Sachwalterschafts-, Pflegschafts-, arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren, aber auch in allgemeinen Zivilprozessen – entsprechend Rechnung getragen“ werden (Kronthaler/Neumayr, JBl 2021, 354).
ÄrztInnen sind in diesen Fällen zur Aussage verpflichtet, allerdings nur insoweit als es für die Beurteilung der Beweisfrage durch das Gericht unbedingt erforderlich ist.
Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung
Ebenso erlaubt ist die Offenbarung des Geheimnisses gegenüber anderen ÄrztInnen und Krankenanstalten, wenn der Verdacht besteht, dass Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind, und die Informationsweitergabe zur Aufklärung des Verdachts sowie zum Wohl der Kinder oder Jugendlichen erforderlich ist.
Anzeige- oder Mitteilungspflicht
Auch in den Fällen, in denen der Gesetzgeber eine Anzeige- oder Meldepflicht für ÄrztInnen normiert hat, besteht eine Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht. ÄrztInnen sind zur Anzeige an die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wenn sich in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit der begründete Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung
- der Tod, eine schwere Körperverletzung oder eine Vergewaltigung herbeigeführt wurde oder
- Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder
- nicht handlungs- oder entscheidungsfähige oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Volljährige misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind.
Die Anzeigepflicht besteht nicht (Gegenausnahme), wenn
- die Anzeige dem ausdrücklichen Willen der volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen PatientInnen widersprechen würde, sofern keine unmittelbare Gefahr für diese oder eine andere Person besteht und die klinisch-forensischen Spuren ärztlich gesichert sind, oder
- die Anzeige im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, sofern nicht eine unmittelbare Gefahr für diese oder eine andere Person besteht, oder
- ÄrztInnen, die ihre berufliche Tätigkeit im Dienstverhältnis ausüben, eine entsprechende Meldung an den Dienstgeber erstattet haben und durch diesen eine Anzeige an die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft erfolgt ist.
Zudem kann die Anzeige im Fall der Misshandlung, des Quälens der Vernachlässigung oder des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen unterbleiben, wenn
- sich der Verdacht gegen einen Angehörigen iSd § 72 StGB (zB Verwandte und Verschwägerte in grader Linie sowie ihre Geschwister) richtet,
- das Wohl des Kindes oder Jugendlichen das Unterbleiben der Anzeige erfordert und
- eine Mitteilung an die Kinder- und Jugendhilfeträger und gegebenenfalls eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt.
Zeugenaussagen von Ärztinnen und Ärzten im verwaltungsbehördlichen Verfahren
Grundsätzlich sind ÄrztInnen auch im Verwaltungs- sowie Verwaltungsstrafverfahren zur Einhaltung der ärztlichen Verschwiegenheit verpflichtet. Eine Zeugenaussage kann daher in der Regel abgelehnt werden, sofern keine Ausnahme iSd § 54 Abs 2 ÄrzteG vorliegt. Wird die Ärztin bzw der Arzt jedoch von der Verschwiegenheit entbunden (oder liegt ein anderer Ausnahmetatbestand vor), so besteht grundsätzlich eine Pflicht zur Aussage.
Zeugenaussagen von Ärztinnen und Ärzten im (außerstreitigen) Zivilverfahren
Werden ÄrztInnen in einem Zivilprozess als ZeugInnen vernommen, so müssen sie grundsätzlich aussagen, sofern nicht ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Das ist nach § 321 ZPO der Fall, wenn sie durch ihre Aussage eine sie treffende staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit verletzten würden. Eine Berechtigung zur Aussage besteht in diesen Fällen nur dann, wenn sie gültig von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden wurden. Liegt eine Entbindung durch die Patientin oder den Patienten vor, so sind Ärztinnen jedoch zu Aussage verpflichtet. Wollen ÄrztInnen trotz Entbindung nicht aussagen, können sie sich – nach einem Teil der rechtswissenschaftlichen Lehre – ihrer Aussage entschlagen. Allerdings müssen sie dem Gericht die Gründe hierfür nennen. Am Ende entscheidet das Gericht, ob die Ärztin bzw der Arzt aussagen muss oder nicht.
Unter Umständen können ÄrztInnen auch dann zur Aussage verpflichtet werden, wenn sie nicht von ihrer Verschwiegenheitsplicht entbunden wurden, weil die Offenbarung des Geheimnisses zum Schutz höherwertiger Interessen der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist (siehe oben). Im Außerstreitverfahren besteht das Zeugnisverweigerungsrecht iSd § 321 ZPO etwa nicht, wenn Obsorgeangelegenheiten und das Wohl minderjähriger Kinder Gegenstand des Verfahrens sind. In diesen Fällen sind ÄrztInnen zur Aussage verpflichtet.
Zeugenaussagen von Ärztinnen und Ärzten im gerichtlichen Strafverfahren
Fungieren ÄrztInnen als ZeugInnen in einem Strafprozess, so sind sie zur Aussage verpflichtet. Ausschließlich FachärztInnen für Psychiatrie wird vom Gesetzgeber ein Aussageverweigerungsrecht gem § 157 StPO eingeräumt. Alle anderen ÄrztInnen können ihre Aussage nur dann verweigern, wenn sie sich dadurch selbst belasten würden.
Verschwiegenheitspflicht über den Tod hinaus?
Die Verschwiegenheitspflicht endet nicht mit dem Tod der Patientin bzw des Patienten, sondern wirkt über diesen hinaus. Ob ÄrztInnen in diesen Fällen zur Aussage verpflichtet sind oder nicht, richtet sich nach dem feststellbaren oder mutmaßlichen Willen der oder des Verstorbenen. Erfolgte noch vor dem Tod eine Entbindung von der Schweigepflicht, besteht eine Pflicht zur Aussage. Kann der Wille nicht mehr eindeutig festgestellt werden, so ist auf den mutmaßlichen Willen der/des Verstorbenen abzustellen.
Untersucht werden muss auch, ob andere Rechtfertigungsgründe für den Entfall der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht vorliegen. Ist die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der Rechtspflege unbedingt erforderlich, so sind ÄrztInnen ebenfalls zur Aussage verpflichtet. In diesen Fällen, bspw bei der Feststellung der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung, kann die Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht nach Rsp des OGH daher gerechtfertigt sein.
Verletzung des Berufsgeheimnisses
Achtung: Eine Verletzung des Berufsgeheimnisses kann sowohl strafrechtliche als auch verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Nach § 121 Abs 1 StGB sind ÄrztInnen, die ein Patientengeheimnis offenbart oder verwertet haben, das den Gesundheitszustand ihrer PatientInnen betrifft, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Zudem kann eine Verschwiegenheitspflichtverletzung disziplinarrechtlich geahndet werden und stellt eine Verwaltungsübertretung dar, die gem § 199 Abs 2 ÄrzteG mit Geldstrafe von bis zu 2.180 Euro zu bestrafen ist.